ASCHIRA als Musikgruppe ist Geschichte. 1995 löste sich
    die Gruppe auf – und wartet auf ihre Wiedergeburt. Bis
    dahin ist es sicher nicht nur für eingefleischte Fans
    interessant zu erfahren, was und wer ASCHIRA war.
    Hier also ...

    Die ASCHIRA-Story

      sehr persönlich erzählt
    von ANDREAS BROSCH

    ASCHIRA im September 1995 in Sobernheim


    Jan Vering
      Mit ihm fing alles an: Jan Vering. Der damalige Gospel-Sänger schickte uns ein erstes Songbook mit hebräischen Liedern, er lud uns im Herbst 1979 nach Verden ein zu unserem ersten Konzert, und er hat uns in den folgenden Jahren zu manchem Engagement verholfen.
    „Pack doch deine Gitarre ein“, sagte Mike Zank am Vorabend dieses ersten Konzerts zu mir. Eigentlich hatte ich nur mitfahren wollen, um den Abend mit meinem neuen Dual-Tapedeck mitzuschneiden; doch so war ich von Anfang an mit dabei: Rund 400 Konzerte in 16 Jahren in ganz Deutschland haben wir in wechselnder Besetzung gegeben – ASCHIRA war in diesen Jahren ein wichtiger Teil unseres Lebens.

    1979-1982:  Mike, Helmut und Andreas


    Mike, Helmut und Andreas
    1982 in Wetzlar
      Die eigentlichen Anfänge liegen aber noch vor diesem ersten Abend in Verden an der Aller; Helmut Weber, unser erster Cellist, hat sie bei vielen Konzerten immer wieder gern erzählt: Mike und Helmut nahmen an einen Hebräisch-Ferienkurs in Krelingen bei Hannover teil. Eines Abends wurde im Innenhof des Studentenwohnheims ein Geburtstag gefeiert. Und weil Mike nicht nur die einfachen hebräischen Chorusse kannte, die vor dem Unterricht gesungen wurden, sondern auch etliche chassidische Lieder und Tänze, holte er seine Gitarre und sang. Andere Kursteilnehmer begannen zu den Klängen von MAJIM, MAJIM um den Brunnen zu tanzen, und da Helmut „mit den Bewegungen nicht so zurechtkam“, holte er sein Cello und spielte die bewegten und bewegenden Melodien einfach mit. Die chassidischen Lieder hatte Mike von Jan Vering bekommen, der hatte ihm ein Songbook aus Amerika mit 54 Liedern geschickt mit der Bitte: Sing das mal für mich auf Kassette, ich will sehen, ob da was für mein Programm dabei ist. Mike sang – und es war der Anfang einer wunderbaren Liebe zu dieser Musik.


    Bei einer Veranstaltung der
    cfi (Christen für Israel)
    in Wetzlar 1881
      Auf Verden folgten etliche Konzerte in ganz Deutschland, viele davon im Kielwasser von Jan Vering, der sich als Promoter für uns betätigte. Er und der Pianist und Produzent Johannes Nitsch waren es auch, die auf der Jubila 1981 dafür sorgten, daß Mike Zank als Newcomer der christlichen Musikszene entdeckt wurde – weitere Engagements waren die Folge. Wir traten als „Mike, Helmut und Andreas“ auf, in der ersten Zeit vorwiegend bei christlichen Gemeinden und Organisationen und auch in vielen Schulen. Wir waren erstaunt, wie diese Lieder aus fremden Ländern, in fremder Sprache gesungen, aus einer anderen Kultur und Religion doch einen unmittelbaren Zugang zu den Herzen vieler Zuhörer fanden – so wurde es uns immer wieder gesagt. Allerdings haben wir auch sehr viel erklärt zu den Liedern, so daß anfangs manche Abende eher einem Vortrag glichen als einem Konzert.

    Das wurde in dem Moment besser, wo wir stärker auf die musikalische Aussage der Lieder vertrauten – und als wir auch jiddische Lieder in unser Programm nahmen. Initialzündung dafür war die auch heute noch sehr hörenswerte Platte „Jiddische Lieder“ der Gruppe Zupfgeigenhansel. Von da fand „Di grine Kusine“ ebenso Aufnahme in unsere Konzerte wie „Dos Kelbl“, das schön traurige Liebeslied „Oj dortn“ und das wehmütige „Huljet, huljet Kinderlech“. Verstärkt ging es an solchen Abenden nun auch um unsere Beziehung als Deutsche und als Christen zu Judentum und Israel.

    1982-1985:  Belaute und Utrala aus der Hildastraße


    Auf der Hochzeit von Rafi Kishon in Köln 1984, v.r.: Andreas Brosch, Mike Zank, Beate Roelcke, Ute Hagelstein, Sibylle Hansen (verdeckt)
      Seit dem Wintersemester ’81 studierten Mike und ich in Heidelberg. Die Iwrith-Kurse bei der besten Hebräisch-Lehrerin von allen Ruti Blum halfen uns, die Liedtexte aus Israel besser zu verstehen. Wir beschäftigten uns jetzt auch mit weltlichen Liedern aus Israel, mit Tanzliedern und der vielfältigen Folklore, die Juden aus aller Welt bei ihrer Einwanderung nach Israel mitgebracht hatten. Südamerikanische Lieder von Matti Caspi etwa brachten mehr Schwung in unser Repertoire.

    Im Sommer 1982 ging Mike für ein Jahr zum Studieren nach Jerusalem, unsere Musik ruhte in dieser Zeit. Als er zurückkam, brachte er nicht nur viele Lieder mit, sondern auch die Idee für einen Namen unserer Musikgruppe: ASCHIRA, zu deutsch „Ich will singen“. In Psalm 133 heißt es: „Ich will singen dem Herrn mein Leben lang“; wir hatten das Lied mit dem Titel schon von Anfang an im Programm, und nun durfte er in keinem Konzert fehlen. Im Oktober 1983 kam Helmut einmal zu uns nach Heidelberg, und wir machten an diesem sonnigen Nachmittag Straßenmusik in der Nähe des Uniplatzes. Viele Leute blieben stehen, und am Ende lagen 56 Mark im Gitarrenkasten. Als wir aufbrachen, um das Geld in der nächsten Pizzeria auszugeben, stand eine junge Frau aus dem Publikum immer noch da und ging einfach mit uns. Sie stellte sich vor als Beate Roelcke, Studentin der Musiktherapie und ebenfalls Cellistin. Wir könnten uns ja mal treffen und ein bißchen Musik zusammen machen.


    Ein Foto mit Seltenheitswert: Mike ohne Bart, in Münster 1981, links Verena (?), rechts Andreas Brosch, vorne Helmuts Cello
      Es dauerte allerdings ein Vierteljahr, bis wir uns zufällig wiedertrafen: nach einem Gottesdienst in der Peterskirche. Beate hatte ihre Freundin Ute Hagelstein dabei, „Ute an der Geige“, wie später auf Plakaten zu lesen war. Diesmal gingen wir gleich mit in die Hildastraße 6, wo die beiden wohnten, und aßen dort zu Mittag. Es war der Beginn einer langen persönlichen und musikalischen Freundschaft mit „Belaute“ und „Utrala“, wie sie sich in einem selbstverfaßten Bilderbüchlein nannten. Helmut war bei Konzerten immer noch dabei, doch wir machten zu viert viel Musik, erarbeiteten Arrangements und Vokalsätze – und hatten einfach viel Spaß miteinander. Die musikalische Untermalung der Hochzeit des israelischen Schauspielers Sabi Dor in München (Thomas Fritsch neben mir am Kuchen-Büffet!), ein Konzert in Heidelberg-Schlierbach im Juni 1984 und eine Tournee durch Schleswig-Holstein im August waren musikalische Höhepunkte dieser Zeit.

    Mehr und mehr wurden wir damals auch von jüdischen Gemeinden und jüdisch-christlichen Gesellschaften eingeladen. Am Anfang stand ein Auftritt beim Bund Jüdischer Studenten in Baden im Dezember 1982 in Heidelberg. Studenten aus ganz Deutschland waren da und wünschten sich an diesem Abend immer mehr Lieder, bis wir nach über zwei Stunden Programm nicht mehr konnten. Die Jüdische Allgemeine schrieb einen wohlwollenden Artikel unter dem Titel „Folklore mit Seele“, und eine ganze Reihe von Engagements in jüdischen Gemeinden und Einrichtungen waren die Folge. Hier sind diese Lieder zu Hause, spürten wir, sie gehören weniger in große Konzertsäle als vielmehr ins Wohnzimmer. „Schira bezibur“, „öffentliches“ oder besser „gemeinschaftliches Singen“, wie es das in Israel sogar im Radio gibt – hier leben diese Lieder wirklich.


    1985 kam das ASCHIRA-Liederheft heraus
      Diese Erfahrung war mit ausschlaggebend für unser nächstes Projekt: das Liederheft ASCHIRA. Wir wollten die Lieder, die uns selber so wichtig geworden waren, einem breiteren Kreis zugänglich machen – zum Selbersingen und nicht zum Hören. Deswegen verwarfen wir ein alternatives Projekt, nämlich eine Schallplatte aufzunehmen, wofür uns mehrere Angebote vorlagen. In dieser Zeit beschäftigten wir uns auch verstärkt mit dem (geistes-) geschichtlichen Hintergrund der Lieder, ihrem Ort im jüdischen Gottesdienst, mit den Dichtern und Komponisten. Ein ganzes Semester ging drauf mit dem Suchen geeigneter Lieder, dem Übersetzen der Texte, dem Forschen nach den Hintergründen, Bearbeiten der Harmonien und dem Schreiben der Noten und Texte. Die israelische Künstlerin Lika Tov beauftragten wir, mehrere Lithographien zu den Liedern zu schaffen. Im Mai 1985 hielten wir das Ergebnis unser langen Mühen in Händen: das Liederheft, das sich seitdem bald 10.000mal verkauft hat. Damit die Benutzer des Heftes nicht ganz auf sich und die Noten gestellt waren, nahmen wir in dem Sommer die Lieder im Studio auf (69 Lieder in drei Tagen!) und gaben sie als „Übungs-Kassetten“ heraus. Seit Mai 2000 sind sie als Doppel-CD erhältlich.

    1985-1989:  Baß muß sein – Geige auch


    ASCHIRA 1988 bei der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille (live im ZDF), v.l.: Sigi Meyer, Beate Roelcke, Michael Zank, Andreas Brosch und Thomas Müller
      Als Ute und Beate Examen machten und für ihr Berufspraktikum Heidelberg verließen, lernten wir Sigi Meyer (Geige) und Thomas Müller (Kontrabaß) kennen. Auch meine spätere Frau Lisa (damals noch Schwarz) begann in dieser Zeit mit ihrem glockenhellen Sopran mitzusingen. Schon vorher war Dorothee Gildemeister (Cello, Percussion und Gesang) dazugestoßen, manchmal vertreten durch Ina Müller. Verschiedene andere Musiker waren für einzelne Konzerte mit von der Partie: Irene Barrios (Harfe), Sibylle Hansen (Violine), Georg Rössler (Querflöte), Michael Schmid (Gitarre und Gesang).
    Durch Mikes Kontakt zu „Studium in Israel“ kamen wir zur „Arbeitsgruppe Juden und Christen“ auf dem Kirchentag. Wir nahmen teil an den Vorbereitungstreffen in Arnoldshain und sangen auf Kirchentagen – auch zusammen mit anderen Musikern wie Dani Bober, Batja Feucht und Daniel Kempin. Bei einem Treffen in Arnoldshain machten wir abends noch Musik, und hinterher kam einer der Referenten, Professor Joseph Walk aus Jerusalem, auf uns zu und sagte: „Daß ihr heute in Deutschland als Christen jüdische Lieder singt, das ist für mich die schönste Rache an Hitler.“ Seine persönliche Rache, fügte er schmunzelnd hinzu, seien seine „acht Kinder und zweiunddreißig Enkel“.


    ASCHIRA ohne Mike Zank 1989, v.l.: Sigi Meyer, Elisabeth Brosch, Andreas Brosch und Ina Müller
      Im Herbst 1988 ging Mike ein zweites Mal für ein Jahr nach Jerusalem, diesmal als Tutor für die Studenten des Programms „Studium in Israel“. Als er zurückkam, heiratete er bald darauf eine Amerikanerin und ging mit ihr in die Vereinigten Staaten; heute lebt er mit seiner Frau Miriam und seinen beiden Kindern Benjamin und Rachel in Boston. Dort ist er Professor für neuere jüdische Philosophie.
    Als Mike ging, übernahm ich die Leitung der Gruppe – für mich ein wichtiger Schritt zur musikalischen Selbstfindung. Das erste Examen lag hinter mir, und ich investierte relativ viel Zeit in die Gruppe, die schon fast zu einem kleinen Orchester angewachsen war. Einen Einschnitt bedeutete die Geburt unserer ersten beiden Kinder Lea (1989) und Miriam (1991), und auch die Übernahme meiner ersten Pfarrstelle in Thaleischweiler beschnitt meine Zeit; doch kurz darauf beschritt ASCHIRA neue musikalische Wege.

    1990-1995  ASCHIRA goes Klezmer


    ASCHIRA 1995 auf dem Kirchentag in Hamburg,
    v.l.: Elisabeth Brosch, Andreas Brosch, Joachim Hein, Friederuhn Müller und Sven Heidenstecker
      Bei einem Konzert in Heidelberg lernten wir zwei junge Musiker kennen, die unsere Musik nachhaltig bereichern sollten: den Klarinettisten und Feidman-Schüler Joachim Hein und den Kontrabassisten Sven Heidenstecker. Beide studierten, wie seinerzeit Ute und Beate, Musiktherapie in Heidelberg. Mit Sigi hatten wir schon das eine oder andere Klezmer-Stück gespielt, aber die Klarinette gehört einfach zu dieser Musik dazu. Und wenn sie dann aus tiefster Seele gespielt wird, wenn sie singt und lacht, weint und klagt, hüpft und tanzt, dann kommt diese urjüdische Musik zu ihrem eigentlichen Wesen. Zu einigen Konzerten brachten die beiden dann noch ihre Kollegin Friederuhn Müller mit; sie spielte Geige und sang mit ihrem ausdrucksstarken Alt einige jiddische Lieder. Joachim holte ab und zu sein Akkordeon heraus, und unser Repertoire wuchs beträchtlich – nicht zuletzt durch etliche Eigenkompositionen von Joachim, von denen Feidman meines Wissen mindestens eine eingespielt hat. Zeitweise fiedelte und sang auch ein Kollege von mir mit: Matthias Helms, heute Pfarrer in Rodalben und mit seiner Gruppe NASCHUWA immer noch aktiv in Sachen jüdischer Folklore.

    Unser Auftritt auf dem Kirchentag 1995 in Hamburg war dann Höhepunkt und gleichzeitig Abschluß unserer gemeinsamen musikalischen Arbeit: Die drei machten Examen und wurden über ganz Deutschland zerstreut. Das war auch das (vorläufige) Ende von ASCHIRA, denn mit unseren Kindern Nummer drei (Rebecca) und vier (David) wuchsen die familiären Aufgaben dermaßen an, daß kaum Zeit blieb für diese Musik.
    Einen Teil der jüdischen Lieder bringe ich ein in die Arbeit mit unserem Chor „Schir beMataná“ hier in Thaleischweiler, aber bis sich wieder Musiker finden, die diese Musik spielen (und auch noch im Raum Pirmasens/Kaiserslautern wohnen), wird ASCHIRA wohl noch eine Weile auf Eis liegen – hoffentlich nicht, bis der Prophet Elia kommt.